Chemisches RechnenDie Chemie ist die Wissenschaft von der Materie, ihrer Zusammensetzung und der (gezielten) Veränderung ihrer Bestandteile. Zur Beschreibung der Materie benutzt man das Konzept der "Atome", die nach Regeln zu "Molekülen" zusammentreten. Atome und Molekülen lagern sich zur "Materie", die man anfassen kann, zusammen. Gemeinerweise gehorchen die Atome beim Bilden von Verbindungen zwar allgemeinen Regeln, aber es gibt einige hundert Millionen Verbindungen, zu denen die Atome zusammentreten können. Die beiden Elemente Natrium (Na) und Chlor (Cl) bilden miteinander Kochsalz (NaCl), in dem je ein Atom Natrium und Chlor enthalten sind:
Diese Verbindung hat völlig neue Eigenschaften: sie ist ein kristalliner weißer Feststoff, der salzig schmeckt. Natrium ist ein Metall, das auf dem Wasser schwimmt und dabei heftig reagiert; es brennt mit gelber Flamme. Chlor ist ein grünliches Gas, das stechend riecht und ätzend wirkt. Man sieht der Verbindung also nicht an, was in ihr steckt. Den Chemiker interessiert von jeher, welche Verbindung er vor sich hat und wie sie zusammengesetzt ist. Dazu hat er die chemische Analyse erfunden. Er nutzt dazu die Eigenschaften der Elemente aus: ein weißer Feststoff, der die Flamme gelb färbt, enthält z. B. Natrium. Wenn seine Lösung mit Silbernitrat einen weißlichen Niederschlag bildet, enthält er Chlor. Wenn beides Eintritt, handelt es sich mit einiger Sicherheit um Kochsalz. Nun ist nicht alles so einfach. Eisen und Sauerstoff bilden mehrere Verbindungen: schwarzes Eisenoxid FeO, ein braunrotes Oxid Fe2O3 und ein ebenfalls schwarzes Fe3O4. Es reicht hier nicht zu wissen, welche Elemente in den drei Verbindungen enthalten sind, man muß auch wissen, in welchem Verhältnis sie enthalten sind: 1 : 1, 2 : 3 oder 3 : 4. Es interessiert also die Frage: wenn x Fe-Atome und y O-Atome ein Oxid FexOy bilden, wie ist der Eisengehalt des Oxids Fe ⁄ (x · Fe + y · O).
Man muß schon recht genau hinsehen, um die drei Oxide am Eisengehalt unterscheiden zu können. Um den Eisengehalt einer Probe genau zu bestimmen, überführt man das darin enthaltene Eisen in eine Verbindung, die man genau kennt. Es bietet sich das Eisensulfid (FeS) an. Eine abgewogene Menge der Probe wird in Salzsäure aufgelöst, und mit Schwefelwasserstoff (H2S) fällt das Eisen als Eisensulfid aus. Das filtriert man ab, trocknet es und wägt es. Von der Probe wissen wir nun:
Gesucht ist der Anteil des Eisens in der Probe in Prozent, um die drei Eisenoxide unterscheiden zu können. In der Probe waren soviele Gramm Eisen, wie Gramm Eisen im FeS-Niederschlag enthalten sind: Fe ⁄ (Fe + S) = 56 ⁄ (56 + 32) = 64 %. Das Multipliziert mit dem gefundenen Gewicht an FeS gibt den Gewichtsanteil des Eisens in der Probe. Teilen wird diesen durch das Probengewicht, haben wir die gesuchten Gew-% Fe. Der Anteil Fe im FeS ist konstant, man nennt ihn Äquivalentgewicht. Es verhält sich also das Äquivalentgewicht von Eisen MGFe zum Gewicht des gefundenen FeS-Niederschlags GFeS, wie der Gewichtsanteil x des Eisens in Probe zum Probengewicht GP. Das ist der klassische Dreisatz: wie gemacht für den Rechenschieber! Das fand auch William Hyde Wollaston, und er entwickelte 1813 den "Rechenschieber für Chemiker" und nannte ihn Synoptic Scale of Equivalents. Eine Beschreibung mit Abbildung und Anleitung aus dem Jahr 1832 habe ich bei Benjamin Scholz gefunden. Die letzten hergestellten chemischen Rechenschieber funktionierten genau nach diesem Prizip. VorgeschichteDer Chemie wurden auf dem Ersten Weltkongress der Chemiker vom 03. bis 05. September 1860 in Karlsruhe die wesentlichen Impulse für die zukünftige Entwicklung zur Naturwissenschaft im heutigen Sinne gesetzt. Über 100 Chemiker aus aller Welt diskutierten die Ergebnisse der bis dahin bekannten Untersuchungen und stimmten die weiteren Forschungen ab. Hier wurden die Definitionen von u. a. "Element", "Verbindung", "Äquivalent" vorgeschlagen. Es zeichnete sich die "Analytische Chemie" als Kerngebiet der weiteren Forschungen ab. Und der 42 jährige Chemiker Carl Remigius Fresenius erkannte die Zeichen und gründete 1862 die erste Zeitschrift auf einem Spezialgebiet der Naturwissenschaften: die "Zeitschrift für Analytische Chemie" (sie erscheint noch heute als Fresenius Journal of Analytical Chemistry). Im Jahre 1869 publizierten Lothar Meyer und Dmitri Mendelejew unabhängig von einander ein "Periodensystem der (damals bekannten 65) Elemente". Nun konnten die Beziehungen der Elemente zueinander und ihre Eigenschaften systematisch untersucht werden. In meinem Studium hatte die "chemische Analytik" noch einen prominenten Platz. Der interessante Teil der Chemie beschäftigt sich mit der Frage: wie beeinflusst die molekulare Zusammensetzung der Materie deren Eigenschaften, und wie kann man die Moleküle so verändern, dass die Materie daraus gewünschte Eigenschaften hat? Im Grunde läuft chemische Forschung also auf die Suche nach neuen Molekülen heraus, b.z.w. auf die Entwicklung von Methoden zur (industriellen) Herstellung von bekannten Molekülen. Da Atome und Moleküle unvorstellbar klein sind, kann man sie nicht einzeln bearbeiten, sondern nur in großer Zahl, in "wägbaren" Mengen. Die Kunst des chemischen Rechnens wurde von Jeremias Benjamin Richter in seinen drei Bänden Stöchyometrie oder Meßkunst chymischer Elemente entwicklet. Aus dem zweiten Band Zweiter Theil welcher die angewandte Stöchyometrie enthält; für Mathematiker, Chymisten, Mineralogen und Pharmaceuten. habe ich den "Vorbericht." erfasst. Er gibt einen hübschen Überblick der Fragestellung — und eine Anleitung zum Rechnen mit Dezimalzahlen, die 1785 von Simon Stevin in einem Traktat vorgeschlagen worden waren. Joseph-Louis Proust und John Dalton fanden 1797 bzw. 1808 auf der Basis Richters Vorarbeiten die nach ihnen benannten Gesetze, wonach die Atome in immer den gleichen, ganzzahligen (Gewichts-) Verhältnissen zu Molekülen zusammentreten. Allgemein: zwei Atomarten A und B treten zu Molekülen AxBy zusammen, wobei x und y ganze Zahlen sind (1, 2, 3, …), und A und B sind die "Äquivalentgewichte". Die konnte man aus den beiden Gesetzen und einer Vielzahl von Verbindungen kann man Massenverhältnisse berechnen. In der Chemie benutzt man daher "relative Atommassen". Heute werden die relativen Atommassen (willkürlich) auf das Kohlenstoffisotop mit der Atommasse 12 (12C) bezogen. Der Physiker Amedeo Avogadro postulierte, dass gleiche Gasvolumina idealer Gase die gleiche Anzahl Moleküle enthalten. Joseph Loschmidt bestimmte die Anzahl zu 6,022 · 1023 (Loschmidtsche Zahl NL). Seit 1909 (auf Vorschlag Jean-Baptiste Perrins wird die Masse einer Substanz, die NL Moleküle enthält als "Mol" bezeichnet. Die Masse des "Mol" entspricht der Summe der Atommassen in den Molekülen. Mit diesem Bezug von Masse (durch Wägen leicht zu bestimmen) und Anzahl Atome bzw. Moleküle wird in der Chemie gerechnet. Das Konzept des "Mol" ist zunächst ungewohnt, denn es hängt von der Atomart und der Molekülformel ab. Zum Beispiel 1 Mol Sauerstoff O2 entspricht 32 g, 1 Mol Chlor Cl2 dagegen 70 g; noch dazu nehmen beide Gase bei 0 °C und einem Druck von 1023 hPa ein Volumen von 22,4 Liter ein. Das sind die Grundlagen des "chemischen" Rechnens. Also: eine Verbindung besteht aus k Atomen des Elements X, l Atomen des Elements Y und n Atomen des Elements Z. Seine Summenformel schreibt man dann XkYlZn. Das Molekulargewicht M ist M = k · mX + l · mY + l · mZ, wobei mX das relative Atomgewicht des Elements X ist, etc.. Die Verbindung XkYlZn enthält somit (k · mX ⁄ M) · 100 Prozent des Elements X, (l · mY ⁄ M) · 100 Prozent des Elements Y, u. s. w.. Biographische Daten
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