Euklids Sätze über Kreis und Gerade
In seinem dritten Buch der Elementa gibt Euklid eine Übersicht der Verhältnisse von Kreis und Gerade in der Ebene. Es gliedert sich in drei Abschnitte:
- Von geraden Linien, welche in Bezug auf den Kreis teils schneidende, teils berührende sind. (Lehrsätze 1 - 19)
- Von Winkeln, deren Scheitel teils im Mittelpunkt, teils in der Peripherie des Kreises liegen. (Lehrsätze 24 - 34)
- Von Rechtecken und Quadraten solcher Linien, welche zum Teil in dem Kreis, zum Teil an und ausser demselben sich befinden. (Lehrsätze 35 - 37)
Ein Kreis kann von einer Geraden berührt (Tangente), oder geschnitten (Sehne, Sekante) werden. Ein paar dieser Lehrsätze waren zu meiner Zeit Schulstoff, zur Navigation braucht man nur die Sätze über Kreissehnen für die Ortsbestimmung aus zwei Horizontalwinkeln und die Bestimmung eines Gefahrwinkels bei der Annäherung an ein Hinderniss.
Der Kreis hat den Mittelpunkt M. Es ist eine Sehne AB (rot) eingezeichnet, und eine Tangente in A (blau), die auf dem Durchmesser AC senkrecht steht. Die rote AB Sehne ist ein Mass für den roten Kreisbogen AB (Kepler verwendet "Sehne" und "Kreisbogen" synonym bei der Ableitung der nach ihm benannten Gleichung.) Es sind zwei beliebige Punkte C und D auf dem Kreis gegeben. Die Winkel ∠ACB und ∠ADB sind gleich α. Im Falle dass die Sehne ein Kreisdurchmesser ist (also durch den Mittelpunkt M geht), ist α = 90° (Satz des Thales). Der Winkel ∠AMB = μ ist doppelt so groß wie α: μ = 2 · α, das Lot MF auf die Sehne AB halbiert den Winkel μ.
Im rechtwinkligen Dreieck ABC erkennt man den Zusammenhang zwischen Kreisdurchmesser AC und der Sehne AB direkt: AB = 2 · r · sin α. Da alle Peripheriewinkel über der Sehne gleich sind, gilt dieser Zusammenhang allgemein (Sehnensatz). Aus dieser Formel kann man leicht den Sinussatz im ebenen schiefwinkligen Dreieck ableiten.
Die blaue Tangente in A schließt mit der roten Sehne auf der einen Seite den Peripheriewinkel α ein, auf der anderen den Winkel β, der μ gegenüber liegt. (Sehne-Tangente-Satz)
Schneiden sich zwei Sekanten AS und DS in einem Punkt S außerhalb des Kreisen, so gilt:
- SA · SB = SC · SD (Sekantensatz)
Schneiden sich in einem Punkt S außerhalb des Kreises eine Sekante DS und eine Tangente ES (blau), so gilt:
- ES2 = SC · SD (Sekanten-Tangenten-Satz)
Wenn sich zwei Sehnen AB und CD im Punkt S schneiden, sind die Verhältnisse der Sehnenabschnitte gleich:
- AS : BS = CS : DS.
- (Sehnensatz)
Verbindet man die Schnittpunkte der Sehnen mit dem Kreis, so entsteht ein Sehnenviereck ADBC mit den Sehnen als Diagonalen. Wählt man die beiden Sehnen so, dass die eine durch den Mittelpunkt des Kreises geht (ein Durchmesser ist) und die andere auf ihr senkrecht steht, erhält man den Höhensatz.
- Im Sehnenviereck ergänzen sich die gegenüberliegenden Innenwinkel zu 180°:
-
- α + β = γ + δ = 180°.
Und die Summe der Produkte gegenüberliegender Seiten ist gleich dem Produkt der Diagonalen:
- AD · BC + AC ·BD = AB · CD (Satz des Ptolemäus).
Die Fläche des Sehnenvierecks
Damit wird es relativ einfach, die Fläche des Sehnenvierecks FADBC zu berechnen. (Dies stammt allerdings nicht von Eukild!) Man zerlegt es in die beiden Dreiecke ADC (blau) und CDB (gelb). Deren Flächen FADC und FCDB berechnet, man nach der Formel:
- FADC = ½ · AD · hc (hc ist die Höhe, d. i. das Lot von C auf AD).
- Da
- hc = AC · sin α,
- ergibt sich
- FADC = ½ · AD · AC · sin α.
Mit den gleichen Überlegungen erhält man für sie Fläche des gelben Dreiecks:
- FCDB = ½ · BD · CB · sin (180° - β).
Damit haben wir eine Formel zur Berechnung der Fläche des Sehnenvierecks:
- FADBC = FADC + FCDB = ½ · (AD · AC · sin α + BD · CB · sin β)
(Denn nach den Phasenbeziehungen der Winkelfunkionen ist sin (180° ± β) = sin β, weil die Sinusfunktion periodisch ist! Die Cosinusfunktion ist es auch, aber da wechselt das Vorzeichen, wenn man 180° addiert oder subtrahiert.)
Da sich die Gegenwinkel im Sehnenviereck zu 180° ergänzen, und wegen der Phasenbeziehung der Sinusfunktion, gilt damit im Sehnenviereck nach Ausklammern der Winkelfunktion:
- FADBC = ½ · (AD · AC + BD · CB) · sin α.
Diese Gleichung für die Fläche des Sehnenvierecks kann man nun noch vereinfachen, und die Winkelfunktion eines der Innenwinkel eliminieren. Dazu wendet man den Cosinussatz im schiefwinkligen Dreieck an um die Länge der Diagonalen CD zu berechnen. Für das blaue Dreieck ist die:
- CD2 = AC2 + AD2 - 2 · AC · AD · cos α
- und für das gelbe:
- CD2 = CB2 + BD2 - 2 · CB · BD · cos β.
Diese beiden Formeln für die Diagonale CD kann man gleichsetzen. Und da die Cosinusfunktion periodisch ist (das Vorzeichen wechselt, wenn man 180° addiert), und die Gegenwinkel im Sehnenviereck sich zu 180° ergänzen, erhält man nach Trennung der Terme mit Winkelfunktion und Ausklammern:
- AC2 + AD2 - CB2 - BD2 = 2 · (AD · AC + BD · CB) · cos α
Jetzt haben wir zwei Formeln, die im Klammerausdruck Ćbereinstimmen, aber leider als Faktor andere Winkelfunktionen haben. Die kann man aber — wie bei der Definition der Winkelfunktionen erwähnt — in einander überführen: sin2 α + cos2 α = 1. Man muss nur die beiden Gleichungen quadrieren:
- 4 · FADBC2 = (AD · AC + BD · CB)2 · sin2 α
- (AC2 + AD2 - CB2 - BD2)2 = 4 · (AD · AC + BD · CB)2 ·(1 - sin2 α)
Die zweite dieser Gleichungen löst man nach sin2 α auf:
und setz den Ausdruck für sin2 α in die erste Gleichung ein:
Man multipliziert mit 4 und kürzt den Nenner des Bruchs:
- 16 · F2 = 4 · (AD ·AC + BD · CB)2 - (AC2 + AD2 - CB2 - BD2)2
Die rechte Seite der Gleichung hat dir Form (x2 - y2) = (x + y) · (x - y), wir erhalten den Ausdruck:
- [2 · (AD ·AC + BD · CB) + AC2 + AD2 - CB2 - BD2] · [2 · (AD ·AC + BD · CB) - AC2 - AD2 + CB2 + BD2]
In jeder der beiden eckigen Klammern erkennt man die Glieder zweier binominalen Gleichungen (x2 ± 2 · x · y + y2). Die runden Klammerausdrücke werden ausmultipliziert, die Glieder umgruppiert, und neu zusammengefasst:
- [(AC + AD)2 - (BD - CB)2] · [(AC - AD)2 - (BD + CB)2]
Wieder haben wir die Summe zweier Quadrate, dir wir in ein Produkt zweier Summen zerlegen können:
- (AC + AD + BD - CB) · (AC + AD - BD + CB) · (AC - AD + BD + CB) · (-AC + AD + BD + CB)
Das Ergebnis sind 4 Produkte aus Summen, die alle die Rechteckseiten enhalten, allerdings jeweils ein Summand mit negativem Vorzeichen. Zur Vereinfachung (& damit man es sich besser merken kann) führt man daher den halben Rechtecksumfang s = ½ · (AC + AD + BC + BD) ein.
Zu der Summe (AC + AD + BD - CB) addieren wir 0 = + CB - CB:
- AC + AD + BD - CB + CB - CB = (AC + AD + BD + CB) - 2 CB.
Die hier in der Klammer stehende Summe ist 2 · s, also:
- (AC + AD + BD - CB) = 2 · (s - CB)
Ebenso wird mit den anderen Klammerausdrücken verfahren. Wir erhalten aus dem Produkt von vier Summen:
- 2 · (s - CB) · 2 · (s - BD) · 2 · (s - AD) · 2 · (s - AC) = 16 · (s - CB) · (s - BD) · (s - AD) · (s - AC)
Diesen Ausdruck setzten wir in die Formel für die Fläche des Sehnenvierecks ein, kürzen den Faktor 16 auf beiden Seiten und ziehen die Wurzel:
- FADBC = √(s - CB) · (s - BD) · (s - AD) · (s - AC)
Diese Formel wurde von Brahmagupta angegeben, einem indischen Mathematiker und Astronomen, der von 597 bis 668 lebte und wesentliche Beiträge zur Arithmetik entwickelte. Die Herleitung der Formel stammt von dem ebenfalls indischen Mathematiker Jyeshtadeva (≈1500 - ≈1610).
In der Ableitung der Flächenformel für das allgemeine Viereck kann man die Winkelfunktion nicht eliminieren (s. o.), denn es gibt keine Beziehung für Winkelpaare. Die Ableitung wurde von C. A. Bretschneider 1842 im "Archiv der Mathematik und Physik" veröffentlicht.
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