Gottfried Wilhelm Leibniz und die Chemie

Leibniz (1646 - 1716) hatte in seiner Heimatstadt Leipzig Jura studiert, wurde aber nicht zur Promotion zugelassen, da er mit 20 Jahren als zu jung eingeschätzt wurde. So ging er 1666 an die (pietistische) Nürnberger Universität in Altdorf. Dort hatte schon sein entfernter Verwandter Christoph Leibniz Theologie studiert, der seit 1642 Diakon an der Sebaldus-Kirche in Nürnberg war.

Der junge Student wurde sofort zur Promotion zugelassen, und erhielt am 5. Nov. 1666 die Dok­tor­würde für seine Abhandlung De casibus perplexis. Ihm wurde die Stelle eines Professors angeboten, die Leibniz aber ablehnte: er wollte sich nicht den Zwängen der Universität unterwerfen.

Gottfried Wilhelm Leibniz hat während seines Aufenthalts in Nürnberg mit Chemie beschäftigt. Das berichtet er seinem Leipziger Lehrer Gottfried Thomasius im Brief vom 7.12.1699:

  • Me Noriberga primum chemicis studiis imbuit nec poenitet adolescentem didicisse quod viro cautioni esset. (Akad. Ausgabe Bd. 3 (7), S. 217)
  • Mich hat Nürnberg anfänglich den chemischen Studien näher gebracht und der Jüngling bereut nicht gelernt zu haben was dem Manne zur Vorsicht gereichte.

Leibniz hat zur Chemie einen Beitrag über die Entdeckung des Elements Phosphor publiziert, aber seine handschriftlichen Aufzeichnungen zeigen, er hat selbst experimentiert (auch die Herstellung des Phosphors hat er untersucht).

Auch hat er zum "Stein der Weisen" und zur Transmutation und Basilius Valentinus einen — wohl ironische gemeinten — Beitrag in der Zeitschrift Miscellanea Berolinensia unter dem Titel Oedipus Chymicus ænigmatis Græci & Germanici. veröffentlicht.

Die Beschäftigung mit der Chemie wird dokumentiert durch die handschriftlichen Aufzeichnungen, die auf der Website der Berlin-Brandengurgischen Akademie der Wissenschaften zugänglich sind.

Der Sohn Justus Jakob Leibniz (8.11.1610 - 1.5.1683) des Christoph Leibniz (ein entfernter Verwandte aus der Grimmaischen Seitenlinie) gehört zu den Gründern der "Alchemistischen Gesellschaft zu Nürnberg", und vermittelte Gottfried Wilhelm Leibniz eine (bezahlte) Anstellung als Sekretär der Gesellschaft. Ob diese Gesellschaft "rosen­kreuzer­isch" orientiert war und tatsächlich nach dem "Stein der Weisen" und der "Quintessenz" gesucht hat, oder sich mit Goldmacherei beschäftigte, möchte ich bezweifeln. Immerhin hatte der Rat der Stadt die Goldmacherei und Versuche dazu per Gesetz schon 1493 verboten. Die Mitglieder der "Alchemistischen" Gesellschaft zu Nürnberg waren angesehen Bürger. Es werden zwei Gruppen erwähnt, in beiden wird Daniel Wülfer genannt.

    • Daniel Wülfer (03.07.1617 - 1685), Theologe, Dozent für Logik, Metaphysik und Physik am Egidischen Auditorio,
    • Johann Georg Volckamer (lat. Volcamerus), Arzt (19.6.1616 - 27.5.1693), Redakteur der Miscellania curiosa, Mitgl. der Akad. Naturforscher, MdpBO Mitglied des pegnesischen Blumenordens (Helianthus),
    • Johannes Scholz, (lat. Scultetus) (07.08.1621 - 13.02.1680), Arzt und Apotheker, Mitgl. der Akad. Naturforscher,
    • Hieronymus Gutthäter, Pfarrer an St. Lorenz
    • Justus Jakob Leibniz, (* 08.11.1610 in Rüsselbach † 11.05.1683), Diakon an St. Sebald,

Außerdem werden als Mitglieder verschiedentlich genannt:

  • Paul Barth, (* 20.12.1635 in Nürnberg † 04.08.1688 in Nürnberg), Orientalist, Geistlicher
  • Johann Michael Dilherr, (* 14.10.1604 in Themar/Henneberg † 08.04.1669 in Nürnberg), Theologe
  • Christoph Heiling,
  • Friedrich Kleinert,
  • Johann Gerhard,
  • Johann Jakob Leibnitz, (* 29.05.1653 in Nürnberg † 28.10.1705), Theologe

Gottfried Wilhelm Leibniz soll sich nach Johann Georg von Eckhart mit einem Brief alchemistischer Phrasen bei Daniel Wülfer eingeführt haben, der ihn wohl auch bezahlte. Es könnte der Kontakt aber auch von Justus Jakob Leibniz hergestellt worden sein. Der Brief, mit dem sich Leibniz einführte, könnte sich auch auf das Studium bei Erhard Weigel in Jena und dessen Ideen bezogen haben. (Der propagierte den Austausch über wissenschaftliche Fragen in Gruppen, der Societas quaerentium.) Was also, wenn Leibniz die Bildung so einer Gruppe vorgeschlagen hat? Wülfer und Volkamer hatten etwa zur gleichen Zeit in Jena studiert.

Da Nürnberg als Handelsstadt in der Nachbarschaft der erzreichen Oberpfalz Erze, Mineralien und Metalle umschlug, liegt es näher, dass die Gesellschaft sich mit Metallurgie und der optimalen Herstellung von "Arzneimitteln" (Volkamer hatte 1662 ein berühmtes "Steinpulver" gegen Blasen- und Nierensteine erfunden) der Zeit beschäftigte. Leibniz schreibt am 07./17.12.1696 an Gottfried Thomasius:

  • Me Noriberga primum chemicis studiis imbuit nec poenitet adolescentem didicisse quod viro cautioni esset. Nam postea crebro pulsatus sum, non tam mea quam principum gratia, apud quos mihi aditus erat, neque defui curiositati, sed ita ut circumspectione temperaretur. [Sämtliche Briefe und Schriften, Bd III, Tl. 7, Nr. 57.]
  • Mich hat Nürnberg zuerst in chemische Studien eingeweiht, und es reut mich nicht, in der Jugend gelernt zu haben, was mir als Mann zur Vorsicht gereichen sollte. Denn in späteren Jahren wurde ich oft, weniger aus eigenem Antriebe, als aus dem von Fürsten bei denen ich Zutritt hatte, zu dergleichen Versuchen angeregt, ich blieb mit meiner Neugier nicht zurück, doch nicht ohne Vorsicht sie zu mäßigen.

Ein durch Justus Jakob Leibniz vermittelter Bekannter, Baron Johann Christian von Boineburg, kurmainzischer Diplomat, ermunterte ihn 1667, sich mit einer juristischen Schrift Methodus nova discendae docendaeque jurisprudentiae dem Kurfürsten von Mainz, Johann Philipp von Schönborn zu empfehlen. Leibniz wurde als Jurist im Sommer 1670 am Mainzer Hof als Rat am Oberrevisionscollegium angestellt.

Leibniz blieb Zeit Lebens im Kontakt mit Alchemisten. Im Jahre 1710 bezog er Stellung im Prio­ri­täts­streit um die Entdeckung des Phosphors und veröffentlichte die Historia inventionis Phosphori in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Miscellanea Berolinenesia der Königlichen Gesellschaft der Wis­sen­schaf­ten, der den Entdeckeranspruch Hennig Brand′s [1630 - 1692] gegenüber Johannes Kunckel [1630 - 1703] sicher stellte.

In derselben Ausgabe der Miscellanea Berolinenesia wird auf Seite 377 auch in dem Beitrag Notitia Coerulei Berolinensis nuper inventi die Erfindung des Berliner Blau bekannt gegeben. Den Namen "Berliner Blau" soll Leibniz dem ursprünglich als "Preussisch Blau" bezeichneten Farbstoff gegeben haben. (Autor des anonym veröffentlichten Artikels war vermutlich Johann Leonhard Frisch [1666 - 1743].)


Biografische Notizen:

Daniel Wül[f]fer (* 03.07.1617 in Nürnberg, † 28. 05.1685 in Nürnberg)
Besuchte das neue Egidien-Gymnasium, ab 1634 Studium der Theologie in Jena ([Paul] Slevogt, [Johann] Gerhard, [Johann Michael] Dilherr, [Daniel] Stahl), 1636 in Altdorf, Magister 1637 in Altdorf, 1638 - 1640 Präses in Jena, ab 1640 Nürnberg, am 27. 01.1643 zum Prof. für Logik, Metaphysik und Physik am Egidien Auditorium berufen, ab 1649 Consistorialrat. Soll nach Vermischte Beiträge zur Geschichte der Stadt Nürnberg, Heft 1 Feb. 1686, den Stein der Weisen gesucht haben. Hatte eine "gelehrte Gesellschaft" gegründet, die Leibniz anstellte.
Johann Georg Vol[c]kamer (* 09.06.1616 in Nürnberg, † 17. 05.1693 in Nürnberg)
1633 studierte er in Jena Philosophie, Metaphysik und Mathematik, 1636 - 1638 Studium der Medizin in Jena und Altdorf, Bildungsreise nach Padua, 1641 Promotion zum Doktor der Medizin in Altdorf, weitere Bildungsreise nach Italien und Frankreich, ab 1642 Praktischer Arzt und an 07.06.1643 Mitglied des Collegium medicum in Nürnberg, 1646 Mitglied der Pegnesischen Blumen-Gesellschaft (Heliantus), lud Gelehrte in sein Haus zu einer Akademie, 1676 Berufung als Mitglied der Akademie der deutschen Naturforscher, Direktor (Herausgeber) der Ephemeridum medico-physicarum (Miscellana curiosa medico-physica Academiae Naturae Curiosorem), 1686 zum Präsidenten der Akademie gewählt. (s. auch Allgemeine Deutsche Biographie 40 (1896), S. 225, Astronomie in Nürnberg, Stadtarchiv Nürnberg).
Johannes Scultetus (Scholz) (* 07.08.1621 in Nürnberg, † 13.02.1680 in Nürnberg)
studierte in Altdorf bei Johann Conrad Dürr, 1648 Magister und 1652 Doktor der Arzneikunst, ab 1652 Mitglied des Collegium medicum in Nürnberg, Mitglied der Akademie der deutschen Naturforscher. (Es gibt zwei Ulmer Ärzte gleichen Namens!)
Johann Leonhart Stöberlein (* 02.06.1636 in Nürnberg, † 30.09.1696 in Nürnberg)
stammt aus einer alten Nürnberger Apothekerfamilie, sein Stiefvater Matthäus Keller betrieb die Apotheke Zur goldenen Kanne, die er erbte, 1658 Studienreise nach Italien zum Studium der Anatomie, Medizin, Botanik und Chemie, 1660 Doktor der Arzneigelehrtheit in Padua, 1672 Mitglied der Pegnesischen Blumen-Gesellschaft (Polyanthus), beteiligte sich an der Gestaltung des "Irrhains" in Kraftshof, stiftete seine beachtliche Bibliothek der Universität Altdorf, Mitglied des Pharmaceutischen Collegiums (gegr. 1632), hielt in seinem Hause eine Gesellschaft Gelehrter (Wülfer, Johann Ludwig Faber, Erasmus Francisci, Johann Conrad Einwag, Georg Winter, u. a.) "höllischer Proteus"
Erasmus Francisci (Finx) (Christian Minsicht?) (* 19.11.1627 in Lübeck, † 20.12.1694 in Nürnberg)
Autodidakt, studierte Jura an verschiedenen Universitäten, als Hofmeister des Herrn von Wallenrod (sein Vetter) Reisen, nach Erkrankung in Nürnberg genesen, Autor für die Endterische Buchhandlung und Korrektor, geheimer Sekretär bei einem Reichfürsten, viel gelesener Autor.
Johann Ludwig Faber (* 1635 in Hersbruck, † 28.11.1678 in Nürnberg)
Studierte Theologie in Altdorf, Tübingen und Heidelberg, 1664 Rektor an der Schule in Öttingen, ab 1670 Lehrer am Egidien Gymnasium, Kirchenlieddichter, seit 1664 Mitglied des pegnesischen Blumenordens.
Andreas Ingolstetter (* 09.10.1633 in Nürnberg, † 07.06.1711 in Nürnberg)
Kaufmann, sprach Latein, interessiert an Mathematik und Astronomie, korrespondierte mit europäischen Gelehrten, hatte einen wissenschaftlichen Gesprächskreis in seinem Haus, finanziert mit Grassel ein kopernikanisches Planetarium, seit 1672 Mitglied des pegnesischen Blumenordens (Poliander), finanzierte den Irrhain in Kraftshof mit.
Jacob Grassel ()
Kaufmann, Marktvorsteher, Stifter
Georg [Christoph] Winter, (* in Nürnberg † 05.1727)
Studierte Jura in Altdorf und Helmstädt
Johann Moritz Hofmann (06.10.1653 - 31.10.1727)
Moritz Hofmann (20.09.1621 - 22.04.1698)
Erhard Weigel (* 16.12.1625 in Weiden, † 21.03.1699 in Jena)
studierte 1647 - 1650 an der Universiät Leipzig zum Magister Artium, promovierte 1652 in Leipzig. ab 1653 Professor für Mathematik in Jena, gilt als Impulsgeber der Gelehrtenrepublik über ein ausgedehntes Beziehungsgeflecht und verursachte die Strahlkraft der Universiät Jena.
Johann Ludwig Hannemann (* 25.10.1640 in Amsterdam, † 25.10.1724 in Kiel)
ab 1675 Professor der Medizin an der Universität Kiel, publizierte auch über Alchemie, Botank und Theologie, ab 1680 Mitglied der Leopoldina.
Daniel Stahl (* 28.09.1589 in Hammelburg, † 17.05.1654 in Jena)
Studierte Philosophie in Straßburg und Gießen, wurde 1623 Pfrofessor für Logik und Metaphysik in Jena.
Johann Michael Dilherr (* 14.10.1604 in Themar, † 08.04. 1669 in Nürnberg)
studierte ab 1623 in Jena, Leipzig, Wittenberg und Altdorf, Promotion in Theologie 1630 in Jena, ab 1631 Professor für Rhetotik in Jena, ab 1634 Professor für Geschichte und Philosophie, ab 1640 Professor für Theologie, 1642 Berufung als Prediger zu St. Lorenz in Nürnberg, ab 1646 Prediger an St. Sebald. Strebte die Versöhnung der Kirchen an (Ireniker).
Johann Gerhard (* 17.10.1604 in Quedlinburg, † 17.08. 1637 in Jena)
Studium der Medizin und Theologie 1599 in Wittenberg, Magister 1604 in Marburg, 1606 Doktor der Theologie in Jena, ab 1616 Professor in Jena. Vertreter der Lutherischen Orthodoxie.
Paul Slevogt (* 29.04.1596 in Possendorf (Weimar), † 22.06. 1655 in Jena)
ab 1615 Studium der Philosophie in Jena, 1620 Magister, ab 1625 Professor für griechische und hebräische Sprache in Jena, 1654 als Nachfolger Daniel Stahls Professor für Logik und Metaphysik.
Collegium Pharmaceuticum Norimbergense
Der Öberlieferung nach schlossen sich im Jahre 1632 die Nürnberger Apotheker unter dem Namen "Collegium Pharmaceuticum Norimbergense" zu einer Interessengemeinschaft zusammen, dessen Parallele im Zusammenschluss der Nürnberger Ûrzte zum "Collegium Medicum" gesehen wird. Doch scheint zu dieser Vereinigung ein wesentlicher Unterschied zu bestehen, da das Collegium Medicum eine behördenmäßige Organisation erfuhr, was im besonderen darin dokumentiert wird, dass es Kontrollfunktionen im Sinne einer Gesundsheitspolizei wahrnahm, so etwa auch eine Kontrolle über die Nürnberger Apotheken ausübte. Der Zusammenschluss der Nürnberger Apotheker ist vielmehr mit dem korporativen Zusammenschluss der Nürnberger Handwerke zu vergleichen. Dies geht auch aus der Tatsache hervor, dass man seit Januar 1648 ein "Aktenbuch" anlegte, welches Abschriften und Extrakte aller für die Organisation und die Rechte der Nürnberger Apotheker wichtigen Ordnungen und Verordnungen, Korrespondenzen und Protokolle enthält.
[Quelle: Germanisches Nationalmuseum]

Quellen
  1. Gottschalk Eduard Guhrauer: Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz - Eine Biographie. Breslau 1846.
  2. Maria Rosa Antognazza: Leibniz - An Intellectual Biography. Cambridge University Press. 2009.
  3. Gottfried Wilhelm Leibniz: Leibnitz′ Monadologie. Deutsch von Robert Zimmermann. Wien 1847.

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