Das Rätsel des Champganer-Löffels

Sektlöffel

Bereits Mitte der 1970er Jahre habe ich einen Beitrag zur Verwendung eines Sektlöffels in der Zeitschrift Brigitte kommentiert (die Redaktion fand ihn zu wissenschaftlich für die Leserinnen). In dem Beitrag war eine Abbildung. An den Enden eines Stabes sind eine größere und eine kleinere Hohlkugel aus Silber angelötet. Die kleinere passt in den Flaschenhals, die größere hält ihn.

Ich erinnerte mich wieder, als in der ZEIT Nr.26 2022 ein Interview des Auturs der Rubrik Stimmt's? erschien, und er den Beitrag zum Sektlöffel von 1997 erwähnte. Und da der Autor im Interview behauptete, er habe eher selten ein Fehler eingestehen müssen, will ich den Sekt-Löffel noch einmal erklären. Um es vorweg zu schicken: ein Silberlöffel im Flaschenhals verhindert nicht das Schalwerden, wie immer wieder behauptet wird. Aber man kann Irrtümer nicht durch Verneinen aus der Welt schaffen, sondern muss eine bessere Erklärung anbieten.

Um die vorvergangene Jahrhundertwende wurde es üblich, auf offiziellen Empfängen Sekt zu reichen. Der wurde während längerer Reden schal, d. h. er hörte auf zu perlen. Und wer wollte schon mit schalem Schaumwein auf den Kaiser anstoßen? Also reichte man das hantelförmige Gerät, das den Sekt wieder belebte. Die kleine Kugel wurde in Sektkelche getaucht, die große in Sektschalen.

Wie wirkt der Sektlöffel?

Schaumweine sind in geschlossenen Flaschen vergohrener Traubensaft. Die Kohlensäure (CO2) kann also nicht entweichen (wie bei der offenen Vergährung) und sie löst sich in der Flüssigkeit: es entsteht ein Druck. Die gelöste Kohlensäure bildet Blasen, die vom Druck aufgeblasen werden und aufsteigen und so das CO2 aus dem Getränk heraus transportieren. Diese Blasen bilden sich an Verunreinigungen oder rauhen Stellen im Glas (oder an Spitzen: deshalb haben Sektkelche am Grunde eine kleine Glasspitze). Irgendwann ist der innere Druck der Kohlensäure zu gering, um die Blasen größer werden zu lassen. Der notwendige Druck hängt von der Oberflächenspannung des Wassers ab, die Ablösung von der Benetzbarkeit der Grenzfläche, hier Glas. Man kann nun einen der bestimmenden Parameter des Systems "Sekt in Glas" verändern.

  1. man senkt die Oberflächenspannung: z. B. mit Seife (verdirbt aber den Geschmack des Sekts),
  2. man ändert die Benetzbarkeit, indem man eine andere Oberfläche in das System einbringt: den silbernen Sektlöffel.

Diese Erklärung läßt sich leicht überprüfen (mit Sprudelwasser). Ein Tropfen Spülmittel läßt das Wasser aufbrausen, ein Metalllöffel läßt es stärker sprudeln.

Sapere aude!


Andere pseudo-wissenschaftliche Erklärungen:
Das Rätsel des Duschvorhangs
Das Floß im Flußgefälle
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